Die schnelle Helene

Die Schlaulis unter euch haben es natürlich längst geahnt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sich meine Faszination für Schnecken in Geschichten niederschlägt. Also bitte, darf ich vorstellen, das ist Helene:

Helene_klein

Und hier kommt das erste von acht Kapiteln:

Helene fährt Auto

In meinem Garten lebt die schöne Schnecke Helene. Schön ist sie, weil ein auffälliges Schnörkelmuster ihr Schneckenhaus ziert. Ein zartes Gelb unterteilt von einer dunkelbraunen Linie, und da wo die Spirale enger wird, im Zentrum sozusagen, geht die Farbe des Häuschens in ein feines Lachsrosa über.

Manchmal störte es Helene, dass sie nicht schneller sein konnte. Sie kroch so schnell Schnecken eben kriechen, auf einer silbrigen Schleimspur, am liebsten bei feinem Nieselregen.

Eines Tages aber erlebte sie ein schnelles  Abenteuer. Sie war im Schneckentempo durch das feuchte Gras eines Gartens gekrochen und hatte ein buntes Plastikauto erklettert. Hauptsächlich wegen der grünen Farbe, aber an dem Plastik konnte sie nichts abbeißen, und was sie schleckte, schmeckte ihr nicht. Unglücklicherweise rutschte sie stärker auf dem grünen Plastik, als sie es sich gedacht hatte und fiel dadurch ins Innere des Spielzeugautos. Da war aber die Oberfläche so rau und uneben, dass sie erst einmal beschloss sich in ihr Häuschen zurückzuziehen und nachzudenken.

Helene verschwand ganz und gar in ihrem schönen Schneckenhaus, und mit ihrem trocknenden Schleim klebte sie auf dem Plastiksitz des Plastikautos fest. Als das grüne Gras trocknete, kam ein Kind, um sein Spielzeugauto zu holen. Es ging damit zur Garageneinfahrt, die in einem Bogen von der Straße zur Garage unter dem Wohnhaus führte. Das Kind setzte das bunte Plastikauto oben auf den Gehweg, gab seinem Spielzeug einen Schubs, so dass es zuerst langsam, dann immer schneller werdend die Einfahrt hinunterrollte.

Das ging natürlich nicht ohne Rütteln und Schütteln. Helene klammerte sich in ihrem festgeklebten Häuschen fest. – Pause; – aah, vermutlich unten angekommen. Aber um ehrlich zu sein, wusste Helene ja gar nicht, was geschehen war. Jetzt wurde das Auto von Riesenhand angehoben und wieder nach oben getragen. Helene streckte ganz vorsichtig die zwei langen Augenfühler unter dem Rand des Häuschens hervor. Das Kind setzte das Auto wieder ab, gab ihm einen Schubs, und das Fahrzeug rollte rüttelnd und schüttelnd erneut die Einfahrt hinunter.

Obwohl es Helene ein wenig schwindelig geworden war, schob sie doch das zweite Fühlerpaar und etwas mehr von ihrem Kopf aus dem Häuschen. Das Auto rumste gegen das Garagentor und kam zum Stillstand. Dennoch wagte sich Helene sogar noch etwas weiter hervor. Wie Menschen vom Sicherheitsgurt, so wurde Helene von ihrem Schleim festgehalten.

Das Kind kam wieder, hob das Auto samt Helene empor und trug es noch einmal nach oben. Als es das Auto diesmal losschieben wollte, entdeckte es die Schnecke.

„Oh, ich hab‘ ja einen Fahrer!“, rief es erfreut und schon schubste es das Fahrzeug wieder die Einfahrt hinunter. Hatte anfangs das Schütteln und Rütteln Helene noch nichts ausgemacht, merkte sie jetzt mit jedem Mal, dass das Rumpeln und Schaukeln  nicht gut für eine Schnecke waren. Sie wurde seekrank, wenn sie gewusst hätte, was die Seekrankheit ist. So wurde es ihr einfach nur schlecht.

Nun, ich habe eine Schnecke noch nie vor Übelkeit spucken sehen, aber am hinteren Ende, da kommt manchmal was raus. Und als das Kind beim nächsten Schubs übermütig, „Los, Tempo, kleine Schnecke!“, schrie, entfuhr Helene eine dünne, grüne Wurst, die unschöner Weise auf dem Autositz landete. Aber damit war ihr Abenteuer noch nicht überstanden. Den kleinen Jungen störte das Würstchen nicht. Vielleicht hatte er es auch nicht gesehen, jedenfalls schubste er das Auto immer schneller die Einfahrt hinunter, immer schneller und wilder. Und so kam es, wie es kommen musste: Das Auto flog aus der Kurve und überschlug sich, gleich mehrfach. Bis es endlich auf der Seite liegenblieb, hatte Helene den Sicherheitsgurt gelöst, also ich meine natürlich ihren Schneckenschleim. Nein, so viel Geschwindigkeit war eindeutig nicht gut für eine kleine Schnecke. Ihr schönes Schneckenhaus, in welches sie sich eilig zurückgezogen hatte, löste sich vom Autositz und kullerte durch das glaslose Autofenster und durch ein Eisengitter in die Regenabflussrinne vor der Garage. Und das war gar nicht einmal so schlecht, denn von dort konnte sie das Kind nicht herausholen. Es war schön feucht und Helene war erst einmal in Sicherheit.